Der deutsche Schuldscheinmarkt leidet unter einem ernsthaften Greenwashing Problem. Immer mehr sogenannte ESG-gelinkte Schuldscheindarlehen kommen auf den Markt, die Investoren mit ihrem Produktnamen in die Irre führen.
Erlöse fließen nicht in ESG Projekte
Die erste Sache, die bei einer Reihe von Schuldscheindarlehen auffällt, die als „ESG-Schuldscheindarlehen“ verkauft werden ist, dass die Erlöse keineswegs in Projekte fließen, die grün, sozial oder nachhaltig sind. Die Erlöse aus dem Verkauf der Schuldscheindarlehen dienen entweder allgemeinen Unternehmenszwecken oder der Refinanzierung. Das widerspricht dem Gedanken der ESG-Anlage ganz klar. Schließlich wollen Investoren mit Finanzanlagen in grüne, soziale und nachhaltige Produkte einen aktiven Beitrag leisten.
Kupons an intransparente Ratings gekoppelt
Das zweite, vielleicht noch viel größere Problem ist, dass viele der seit 2019 immer beliebter werdenden ESG-gelinkten Schuldscheindarlehen an Ratings von ESG-Ratinggesellschaften gebunden sind, deren Kriterien und Ratings von externer Stelle nicht nachprüfbar ist. Die ESG Ratings etwa von Ecovadis oder ISS sind nicht öffentlich zugänglich. Es gibt dafür weder eine Benchmark, anhand derer ein Investor sehen könnte, ob ein entsprechendes Rating denn im Vergleich zu anderen Unternehmen der selben Branche gut oder schlecht ist, noch herrscht Transparenz in Bezug auf die Kriterien und Fragestellungen, anhand deren ein Rating vergeben wird. Stutzig sollten Investoren spätestens dann werden, wenn jedes Unternehmen, das mit ESG-gelinkten Schuldscheindarlehen auf den Markt kommt, behauptet, mit ihrem Rating unter den Allerbesten zu sein. Da die Ratings extern nicht nachvollziehbar sind und hier absolute Intransparenz herrscht, ist auch keine ordentliche Due Diligence im Vorfeld der Investition möglich. Investoren, die eine Emission, deren Kupon direkt an eine nicht überprüfbare Aussage gekoppelt ist, erwirbt, handelt möglicherweise sehr fahrlässig. Noch ein Detail am Rande für alle Investoren, die sich dessen nicht bewusst sind: Auch ESG Ratinggesellschaften arbeiten nach dem „Issuer Pays“ Modell, bei dem das geratete Unternehmen selbst Auftraggeberin und Zahlerin des Ratings ist.
ESG-Anteil an den Kupons ist lächerlich klein
Wie ernst kann es jemand mit dem Thema ESG meinen, der dafür pro Jahr maximal 0,02% aufs Spiel setzt? Immer häufiger konnten wir in letzter Zeit Emissionen sehen, deren Kupon um lächerliche zwei Basispunkte steigt, wenn das wohlgemerkt nicht nachvollziehbare ESG Rating fällt, oder um zwei Basispunkte sinkt, sollte das ESG-Rating steigen. Diese zwei Basispunkte Einsatz konnten wir beobachten bei der Emission von Faber-Castell im Februar 2020, bei Dürr im März 2020, Aurubis im Juni 2020, Indus im September 2020. Bei Voith waren es im Frühling immerhin 2,5 Basispunkte, aber immer noch lächerlich gering. Allzu viel Unterschied machen zwei Basispunkte im Kupon nun nicht gerade, und es zeigt auch nicht, dass Emittenten oder Investoren den ESG-Teil an dieser Emission sehr ernst nehmen. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, es handelt sich um eine Marketing-Masche, deren Kosten und Risiken extrem überschaubar sind. Schließlich verkaufen sich Produkte, die einen ESG Bezug haben, viel besser als „normale“ Refinanzierungs-Schuldscheindarlehen.
Nicht bewertbare Produkte
Die – lächerlich kleine aber dennoch vorhandene – ESG-Kupon-Komponente ist eine Digitaloption und damit ein Derivat und komplexes Finanzprodukt. Derivate sind, wie schon ihr Name sagt, abgeleitet von anderen Basiswerten. In diesem Fall ist es das besagte ESG-Rating. Um ein Derivat allerdings korrekt bewerten zu können, ist es notwendig, die Parameter des Basiswertes zu kennen. Da sich das Rating nicht nachvollziehen oder unabhängig beobachten lässt, kann diese ESG-Option auch nicht bewertet werden. Im Schuldscheinmarkt herrscht zwar rein buchhalterisch die Bilanzierung zu Anschaffungskosten, ein seriöser Investor sollte trotzdem jederzeit wissen, was die von ihm gehaltenen Finanzanlagen wert sind. Diese Unmöglichkeit der Bewertung erhöht das Risiko der Finanzanlage und müsste damit zu einem Spreadaufschlag führen, anstatt das Produkt wegen seines ESG-Namens teurer zu machen.
Investoren werden in die Irre geführt
Einen Produktnamen so zu wählen, dass Investoren annehmen müssen, dass mit ihrem Kapital ein Beitrag zu Umweltschutz, sozialen Verbesserungen oder nachhaltiger Unternehmensführung geleistet wird, und dann diesen Investorenauftrag nicht annähernd zu erfüllen, ist eine höchst fragwürdige Praxis. Unternehmen, die sich dazu beraten lassen, ein solches Schuldscheindarlehen zu begeben, tun sich selbst damit kaum einen Gefallen. Arrangeure, die solche greenwashing Schuldscheindarlehen auf den Markt bringen, schaden damit am Ende dem Schuldscheinmarkt selbst, denn ernsthafte ESG Investoren werden diese Produkte nicht kaufen und den Schuldscheinmarkt als Ganzes hinterfragen. Schlussendlich leidet auch die Glaubwürdigkeit des ESG Themas, wenn wieder und wieder Greenwashing betrieben wird. Der Schuldscheinmarkt hat ein ernsthaftes Problem, und es ist an den Akteuren, hier wieder mehr Glaubwürdigkeit, Nachhaltigkeit und Wahrheit an den Tag zu legen.